In unserer Eröffnungsrede reflektieren wir – man kann mittlerweile sagen: traditionell den aktuellen Stand der Dinge mit der sogenannten Rechten. Das Fazit, das wir in der Regel ziehen, lautet, dass unsere Arbeit der Aufklärung, Sensibilisierung und politischen Bildung besorgniserregend aktuell bleibt. Wir verkünden also keine Neuigkeiten, wenn wir heute feststellen: Der Trend setzt sich fort. Die Liste der Ereignisse des letzten Jahres, die als Symptome des Wachstums und der Ausbreitung rechter Einflussphären gelten müssen, ist so lang, dass es etwas Verzweifeltes hätte, sie hier einfach vorzutragen. Wir wollen stattdessen auf eine Dynamik hinweisen, die zu verstehen der erste Schritt bei der Suche nach Gegenstrategien ist: Im Januar waren die Newsfeeds voll mit Meldungen über ein Geheimtreffen in Potsdam, bei dem Personen aus dem Umfeld der AfD mit dem rechtsradikalen Posterboy der Identitären Bewegung, Martin Sellner, über Pläne zur Massendeportation all derer berieten, die ihrem völkischen Verständnis gemäß keine ‘echten’ Deutschen sind. Durch die Feuilletons wehte die Frage, ob jetzt endlich das wahre Gesicht dieser Partei für diejenigen sichtbar würde, die sie vermeintlich aus Protest gegen die sogenannten Altparteien wählten. Wenige Monate später wurde die AfD zweitstärkste Kraft bei den Europawahlen in Deutschland, hielt sich seitdem in den Umfragen zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland durchgehend auf Rekordniveau und wurde dann folgerichtig stärkste und zweitstärkste Kraft in Thüringen und Sachsen. In Brandenburg zeichnen sich ähnliche Ergebnisse ab. Die Partei wird nicht trotz ihrer erzreaktionären, rechtsradikalen Politik gewählt, sondern deswegen. Diese Entwicklung beschränkt sich selbstverständlich nicht auf Deutschland: Trotz Streits um Marginalien konsolidiert sich die europäische Rechte und sehnt den Schulterschluss mit den Autokrat:innen der Welt herbei, zu denen unter Umständen bald wieder die gefährlichste Witzfigur der Welt, Donald Trump, zählt. Der organisierten radikalen Rechten indes gibt all das so viel Aufwind, dass sie sich mittlerweile immer häufiger offen in Kampfpose begibt. Erst vor wenigen Wochen marschierten in Bautzen beim diesjährigen CSD hunderte Nazis auf und inszenierten sich als die Menschenfeinde, die sie sind. Ähnliche Einschüchterungsversuche an anderen Orten folgten, die Zahl der rechten Angriffe auf Jugendsozialarbeiter:innen ist auf einem Höchststand, Gedenkstätten berichten regelmäßig vom Anstieg rechtsradikaler Aktionen an ihren Orten, es häufen sich Angriffe auf Politiker:innen und Helfer:innen etwa bei Europa- und Landtagswahlen – wie  gesagt: Die Liste ist sehr lang.

Das Nach dem Rechten sehen fokussiert aber eben nicht nur die Rechten, die sich auch selbst als solche verstehen oder immer auch schon als solche gelesen werden. Denn es gibt kein Monopol auf reaktionäre, rassistische, antisemitische Ideologie; ihre Erscheinungsformen sind vielfältig. Dass auf Demos mit der offenen Forderung nach der Errichtung eines Kalifats eine protofaschistische Ideologie verbreitet wird, oder dass islamistische Influencer:innen in den sozialen medien zunehmend Reichweite gewinnen, halten wir genauso für ein Symptom des wachsenden Autoritarismus wie den Umstand, dass während der EM im Sommer der sogenannte Wolfsgruß zigfach in die Kameras gehalten wurde. Viele kurdische, armenische, alevitische, aber auch jüdische Communitys weisen seit Jahren auf die Gefahr der Grauen Wölfe hin, die die zahlenmäßig größte rechtsradikale Vereinigung in Deutschland darstellt. Wenn dann aber, wie im Frühsommer diskutiert wird, ob es tatsächlich rechts ist, wenn auf Sylt “Deutschland den Deutschen” gesungen wird, oder es sich nicht doch bloß um ‘betrunkenen Leichtsinn’ handet, wird klar, dass das Problem nicht unbedingt an der Vielgestaltigkeit rechter Phänomene liegt, sondern auch bei denen, die zu wissen behaupten, was rechts und was noch harmlose Mitte ist.

Nach dem Rechten sehen bedeutet letztlich die Abkehr von der Idee einer neutralen ‘Mitte’, die sich einfach wehrhaft machen müsste, um den Rechten am Rand der Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Diese Vorstellung verdunkelt den Umstand, dass gerade auch in besagter Mitte immer schon die Empfänglichkeit für rechte Ideologien vorhanden ist. Die sogenannte Mitte-Studie erhebt seit mittlerweile 18 Jahren unerträglich hohe Zustimmungswerte zu rassistischen, antisemitischen und autoritären Einstellungen in ebendieser Mitte der Gesellschaft. Und so verwundert es auch nicht, dass sich Politiker:innen aus den Reihen der Ampelparteien für eine Flüchtlingspolitik an Europas Außengrenzen einsetzen, die sich nur noch in Details von den Forderungen der AfD von vor 8 Jahren unterscheidet. Forderungen nach Abschiebungen “im großen Stil” oder die Rede von Flüchtlingen als ”Sozialtouristen” kommen heute von Kanzler Scholz und Oppositionsführer Merz. Dass die CDU mittlerweile taktische Allianzen mit der AfD auf kommunaler Ebene erwägt, reflektiert genau diese Unmöglichkeit, klare Grenzen nach Rechts zu ziehen – die Rede von der ‘Brandmauer’ war von Anfang an eine Farce, basiert sie doch auf der Idee, dass es diesseits der Mauer keine autoritären, rassistischen, sozialdarwinistischen Brandherde gibt.

Nun liegt der Gedanke sehr nahe: Wenn man sich gegen rechts engagieren will und in der Mitte keine Allianzen schmieden kann, dann bleibt ja nur noch das linke Spektrum! Aber das Bild des an der französischen Nationalversammlung orientierten Rechts-mitte-links-Schemas der politischen Landschaft ist seinerseits kaum mehr zu gebrauchen, um eine Orientierung zu gewährleisten. Denn auch der Zustand vieler sich als links begreifender Akteur:innen ist bei näherer Betrachtung besorgniserregend empfänglich für genau die Ideologien, gegen die zu kämpfen sie behaupten. Dass die sogenannte Linke entlang einiger Themen ‘zerstritten’ ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Was sich aber seit dem vernichtungsantisemitischen Pogrom vom 07. Oktober in einigen Statements und auf den Demos vieler sich als emanzipatorisch verstehender Akteur:innen zeigt, unterschreitet jeden hart erkämpften Standard ins Unaushaltbare. Es noch als innerlinken Grabenkampf auszugeben, wenn die misogyne, antiqueere und vor allem sich offen zum Antisemitismus bekennende Hamas als Befreiungsoragnistation krummgelogen wird, ist grundfalsch, weil es sich dabei um etwas viel Bedrohlicheres als um einen Dissens unter Mitstreiter:innen handelt: Es ist Antisemitismus. Die Geschichte der Linken ist reich an Querfronten und Amalgamierungen mit rechten Positionen. Nach dem Rechten sehen geht konsequent also nur da, wo auch in den Blick gerät, was sich selbst gar nicht als rechts und vielleicht sogar als links versteht.

Das NDRS fühlt sich all denjenigen Gruppierungen, Bewegungen oder Akteur:innen verbunden, die ernst machen mit der Forderung nach einer solidarischen Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden sein kann. Diese zu  erstreiten setzt die konsequente, selbstkritische Analyse der Strukturen und Dynamiken voraus, die an der Abschaffung dieser Möglichkeit der Freiheit für alle arbeiten. Das NDRS bleibt also ein Ort der Reflexion, der Vernetzung, aber auch der Kritik. Und damit bewegen wir uns in der Spur derjenigen politischen Bewegungen, denen Selbstkritik als Teil der Emanzipation erscheint. 

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