Herzlich willkommen zum ‘Nach dem Rechten sehen 2023’, der – wie wir festgestellt haben –
5-Jahres-Jubiläumsausgabe unseres Politik- und Kulturfestivals. Ganz egal, wie routiniert manche von uns in den letzten Jahren geworden sind: die letzten Wochen vor dem Festival sind für uns immer besonders intensiv und deshalb freuen wir uns jetzt umso mehr, euch wieder so zahlreich begrüßen zu können. Im selben Atemzug danken wir allen, die auch in dieser Runde wieder mitgeholfen haben und mithelfen werden, ein großartiges und vielfältiges Programm auf die Beine zu stellen. Wir freuen uns insbesondere über die Unterstützung von der Amadeu Antonio Stiftung, der  Rosa Luxemburg Stiftung, der Partnerschaft für Demokratie, dem Ortsbeirat Nord-Holland, dem DGB, Mr. Wilson, der Uni Kassel und deren ASta und dem Jugendamt und dem Kulturamt der Stadt Kassel. Ein riesengroßes Dankeschön gilt auch all den Helfer*innen, die sich für Schichten und Aufgaben während des Festivals eingetragen haben und die mit uns in den kommenden Tagen dieses Festival umsetzen werden.

Dass es sich beim diesjährigen NDRS um ein Jubiläum handelt, heißt nicht, dass wir auch Grund zu feiern hätten. Unser Anliegen bleibt leider aktuell und so muss dieses Jahr die Frage gestellt werden, was es bedeutet, zum fünften Mal ’nach dem Rechten zu sehen‘.

Angefangen hat das NDRS hier um die Ecke bei einem Bier unter Freund*innen als die Idee, dem größten Rechtsrock-Festival Europas in Themar etwas entgegenzusetzen. Aus der Idee wurde ein Plan und der Plan umfasste recht schnell viel mehr als bloß ein Zeichen gegen die offene Nazi-Szene zu setzen. Wir schreiben häufig über uns, dass wir über rechte Phänomene aufklären, bilden und dafür sensibilisieren wollen. Tatsächlich sind es nicht bloß Phänomene, die einzeln hier und da auftauchen: Wir haben es in den letzten Jahren vielmehr mit einer Art Erfolgsgeschichte rechter Bewegungen zu tun.

Die jüngsten Erfolge des parlamentarischen Arms der radikalen Rechten können helfen, das zu bebildern: Höckes rechtsradikale AfD in Thüringen stellt im Landkreis Sonneberg den ersten AfD-Landrat, in Sachsen-Anhalt mittlerweile auch einen Bürgermeister und die Umfragewerte stellen der AfD auf Bundes- und Landesebene regelmäßig Rekordergebnisse auf dem Level der ‚Volksparteien‘ aus. Selbst die NPD traut sich, mit dem neuem Namen „Die Heimat“ an genau die Phantasie- und Gefühlswelt anzuschließen, die nicht zuletzt von Parteien der sogenannten Mitte in den vergangenen Jahrzehnten so fruchtbar gemacht wurde, dass Rechte nur noch das Feld bestellen müssen.

Der gesellschaftliche und politische Aufschwung autoritärer und faschistischer Akteur*innen hatte von Anfang an einen globalen Wirkungskreis: Trump, Bolsonaro, Erdogan – die Beispiele sind zu zahlreich, um sie vollständig aufzuzählen und es kommen immer neue hinzu, wie jüngst die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni, die sich offen auf den italienischen Faschismus bezieht. Es sei hier am Rande erwähnt, dass insbesondere Olaf Scholz mit seinem Staatsbesuch vergangenen Monat Meloni auf der internationalen Bühne normalisierte.

Die internationalen Erfolge rechter Akteur*innen lassen sich nicht einfach auf deren Marketing zurückführen. Zu konstatieren bleibt aber allemal, dass sich die Rechte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten global vernetzt und auch in vielen Fällen neue Techniken der öffentlichen Meinungsbildung entwickelt hat: Mit rechten Chatbots, Fakenews- und Trollfabriken etc. haben Strategen der globalen Rechten wie Steve Bannon oder der aktuell in Russland wortgebende Alexander Dugin eine bis dato ungekannte Wirkung auf den gesellschaftlichen Austausch entwickelt, die offenkundig zur Organisation rechter Mehrheiten in den Wahlvorgängen beiträgt. Die Phase der rechtsradikalen Anbiederung an den immer schon dafür empfänglichen politischen Mainstream ist entsprechend übergegangen in selbstsichere Gesten. Unter dem Stichwort der Meta-Politik versammelt die Neue Rechte all diejenigen Aktionsformen, die dazu dienen können, den politischen Raum zu ihren Gunsten zu verändern. Statt also zum Beispiel konkrete, sozialpolitische Forderungen zu vertreten, werden durch aggressive Gesprächstaktiken in Kommentarspalten, Interviews und auf der politischen Bühne rassistische, geschichtsrevisionistische und völkisch-nationalistische Vorstellungen in den Vordergrund der politischen Debatten gestellt.

Man würde die sich offen als solche bekennenden Rechten allerdings maßlos überschätzen, wenn man glaubte, dass sie allein eine ansonsten solidarische und vernünftige gesellschaftliche Öffentlichkeit einfach nach rechts verschieben könnten. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass in der sogenannten Mitte der Gesellschaft bereits rechte Ansichten und Haltungen zu finden sind. Und folglich ist es nicht verwunderlich, dass es immer wieder die Mitte-Parteien sind, die  rechte Politik machen.

Erst letztens durften wir alle Zeug*innen der sogenannten Zeitenwende werden. Zeitenwende heißt Privatisierung von Milliarden öffentlicher Gelder durch Zahlungen an deutsche Rüstungsunternehmen zu einer Zeit, in der sich die soziale Ungerechtigkeit dramatisch verschärft. Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete im Bundestag unter großem Beifall in einer erstaunlich emotionalen Rede, welches Militärgerät die Bundesregierung den Unternehmen wie KMW und Heckler&Koch nun abkaufen wird, um die deutsche Truppen kriegstauglicher zu machen und die angebliche deutsche Zurückhaltung in globalen Konflikten endlich hinter sich lassen zu können. Die SPD, das sei hier betont, blickt auf eine lange Geschichte des Nationalismus, der Kriegsbegeisterung und der Entsolidarisierung zurück. Derweil verteidigen die Grünen aktuell eine EU-Asylreform, die Flüchtlingslager an Europas Außengrenzen vorsieht und die ihrem Gehalt nach vor 8 Jahren fast eins zu eins von der AfD gefordert wurde. Erst vor ein paar Tagen unterzeichnete die EU ein neues Abkommen zum sogenannten Migrationsmanagement mit dem autoritär regierten nordafrikanischen Staat Tunesien, von dem bekannt ist, dass seine Migrationspolitik die Menschenrechte verletzt. Besiegelt wurde dieses Abkommen u.a. per Handschlag zwischen der CDU-Politikerin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Tunesiens Präsident Kais Saied.

Diese politische Gesamtlage hat Folgen, die allerorts und entsprechend auch hier spürbar sind. In Kassel sitzen mit KMW und Rheinmetall Rüstungsunternehmen, die auch in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt waren und die ohne Zweifel von der Zeitenwende und der nationalistischen Stimmung dieser Tage profitieren werden. Es ist dieselbe Gesamtlage, die Rechtsradikalen das Gefühl gibt, Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Genau solchen Rechtsradikalen fielen Halit Yozgat und Walter Lübcke zum Opfer, von einem solchen Rechtsradikalen wurde Efe angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Die Täter*innen erfahren derweil Bestätigung in den Wahlergebnissen der AfD, in den rassistischen und antisemitischen Diskussionen der Öffentlichkeit, in dem Rassismus und Antisemitismus weiter Teile der deutschen Bevölkerung – 2020 stimmten rund 35 Prozent der Befragten in einer Studie ganz oder teilweise der Aussage zu, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland immer noch zu viel Einfluss hätten; regelmäßig finden sich in den Nachrichten rassistische Berichte über die als kriminell stereotypisierten, sogenannten arabischen Clans. Dass diese Berichte aus dem tief verwurzelten Rassismus in den deutschen Sicherheitsbehörden hervorgehen, haben wir bereits in mehreren Artikeln auf unseren Kanälen ausführlich dargelegt. Noch immer erleben wir überdies, dass die Sicherheitsbehörden durchsetzt sind von Rechtsradikalen wie dem Hannibal Netzwerk und dem selbsternannten NSU 2.0, derweil Rechtsradikalismus auf politischer Ebene heruntergespielt wird. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass rechtes Gedankengut von der sogenannten Mitte der Gesellschaft mitgetragen wird: Vor gut drei Wochen trat der Kasseler Stadtrat Timo Evans, Politiker der FDP, zurück. Er hatte auf dem Kasseler Stadtfest einen Schausteller rassistisch beleidigt. Als dieser sich im Nachgang wehrte, versuchten Evans Anwälte mehrfach ihn einzuschüchtern. Rassismus und der Versuch seiner Verschleierung sind auch Teil der liberalen deutschen Mitte. 

Angesichts dieser soeben mit recht groben Pinselstrichen nachgezeichneten, globalen Dynamik, die wir lokal mit- und viele von uns überleben, stellt sich natürlich die alte Frage: Was tun?
Das Nach dem Rechten sehen ist unser Versuch, hier gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen:
1) Es ist unsere Überzeugung, dass diese praktische Frage, was zu tun sei, mit dem NDRS anhand der Workshops, Lesungen, Vorträge, Podiumsgesprächen, Ausstellungen und Bühnenstücken besser, weil präziser gestellt werden kann. Das beste, was insbesondere der Deutschen Rechten passieren konnte, ist, dass sie lange Zeit als Randphänomen vulgärer Glatzen vorgestellt wurde, während rechte Ideologie in den Volksparteien unter dem Deckmantel konservativer Parteiflügel fest verankert war. Nur wenn man weiß, mit welchen Akteur*innen, Organisationen, Strategien und Taktiken man es zu tun hat, wenn man sich gegen Rechts engagieren und organisieren will, kann dies auch gelingen. Diese Zusammenhänge lassen sich benennen und wir wollen dabei helfen, das für mehr Menschen sichtbar zu machen.
2) Darin ist das NDRS aber bereits eine konkrete Antwort auf die Frage, was zu tun sei: Wir halten fest an der Einsicht, dass Aufklärung, Sensibilisierung und politische Bildung Teil derjenigen Kraft sind, die auf den Namen Antifaschismus hört. Antifaschismus ist eine vielgestaltige Angelegenheit und aus diesem Grund versuchen wir jedes Jahr, das NDRS zu einem Ort zu machen, auf dem sich die vielen bewundernswerten Referent*innen, Stiftungen, Künstler*innen und Akteur*innen vernetzen können. Wir wollen ein Ort der praktischen Solidarität und antifaschistischen Vernetzung sein. Bei allen Differenzen, Verschiedenheiten und auch den Brüchen, die die linke Landschaft kennzeichnen, braucht es die taktische Allianz gegen Rechts. Die wollen wir vorbereiten!

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