Uns haben Augenzeug*innenberichte und ein Video von beunruhigenden Ereignissen aus der Nordstadt erreicht: Im Nordstadtpark kam es von behördlicher Seite aus zu einer Verfolgungsjagd auf Menschen mit Migrationshintergrund und im Zuge dessen zu unverhältnismäßiger Härte. Einer der Augenzeug*innenberichte über das, was am 08. April geschehen ist, lautet:

„Ich saß mit zwei Freunden gegen 18 Uhr im Nordstadtpark und es kommen zwei oder drei Ordnungsamtspolizeiwagen angefahren. Sie fahren direkt zum Wasserhäuschen an der Südseite, steigen aus und gehen direkt auf die migrantisierten Männer dort zu. Diese gehen weg, einer rennt. Zwei Beamte rennen hinterher, er sprintet über die Brücke auf die andere Seite. Zwei Kommunalpolizisten steigen in den Wagen und fahren zur anderen Brücke, um dort auszusteigen und ihn einzukesseln. Als er das sieht, rennt er den Abhang hinab, durch den Fluss und auf der anderen Seite wieder rauf. Die Kommunalpolizisten hetzen ihm hinterher und auf dem Schottergehweg springt einer den Flüchtenden von hinten an und 4-6 von ihnen sitzen auf ihm drauf und legen Handschellen an. Sie führen ihn zum Wagen und fangen an ihn zu durchsuchen. Passanten werden aufmerksam (der ganze Nordstadtpark war voll, jeder hat´s gesehen) und fangen an zu fragen, was das soll. Nachdem sie ihn einmal komplett durchsucht und nichts gefunden haben, sind sie sichtlich unzufrieden ihn laufen zu lassen, frei nach dem Motto: ,Scheiße, nicht mal Gras gefunden´. Sie pöbeln dann noch ein paar Passanten an, derjenige, der den Flüchtenden zu Fall gebracht hat, wird von seinen Kollegen noch beglückwünscht und sie ziehen ab.“

Beunruhigend dabei ist nicht bloß, dass Menschen drangsaliert wurden und zu vermuten bleibt, dass es nicht zu einer Aufarbeitung der Vorfälle kommen wird. Beunruhigend ist auch, dass diese Ereignisse im Kontext der verschärften Sicherheitspolitik der Stadt zu verorten sind. Auf der Homepage der Stadt Kassel ist diesbezüglich zu lesen: „Die Aufgaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nehmen weiter zu. Daher führt die Stadt Kassel jetzt als neue Komponente innerhalb des Ordnungsamtes den Bereich ‚Stadtpolizei‘ ein.“ Diese Aussage erscheint uns problematisch, denn wenn von Seiten der Stadt weiterhin versichert wird, die Sorgen und Ängste der Bürger*innen würden ernst genommen, bleibt dabei offen, auf welche Sorgen und Ängste mit solch einer Maßnahme reagiert wird. Die Verschärfung der Sicherheitspolitik der Stadt ist bereits seit 2019 in Planung. Ein nachvollziehbarer Anlass ist allerdings nicht zu erkennen, im Gegenteil sei in Kassel die „Kriminalität stark zurückgegangen“. Es gehe vielmehr um das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Bürger*innen. Aber welche konkreten Aufgaben aus dem Bereich Sicherheit und Ordnung „nehmen weiter zu“, wenn die „Kriminalität stark zurückgegangen“ ist? Die Wahl des Zeitpunktes zur Umsetzung der geplanten Maßnahmen ist sicher nicht zufällig, jedoch auch im Anbetracht der aktuellen Lage ohne hinreichenden Grund: Im Zuge der Corona-Krise sind verschiedene Verordnungen den öffentlichen Raum betreffend verabschiedet worden. Ein Problem mit der öffentlichen Sicherheit war dabei noch nicht zu erkennen – auch hier gab es seitens der polizeilichen Pressestellen hauptsächlich Meldungen dazu, dass sich alle im Großen und Ganzen an die vorgeschriebenen Maßnahmen hielten. Auffällig sei allenfalls, dass vermehrt die Bürger*innen selbst Verstöße gegen die Coronaverordnungen bei den Behörden meldeten – „allerdings sei nicht jeder Hinweis berechtigt – und manchmal ist das Motiv eine offene Rechnung“ (HNA). Wer nach konkreten Fallzahlen zu sich häufenden Regelverstößen in der Bevölkerung sucht, wird nicht fündig. In keinem Fall lässt sich so nachvollziehen, welche Dringlichkeit besteht, gerade jetzt dem Ordnungsamt weiterführende polizeiliche Befugnisse wie etwa die Ausübung unmittelbaren Zwanges – auch mit „Hilfsmittel[n] wie Schlagstock, Handschließen und Reizgas“ (Stadt Kassel) – zuzugestehen. Dies ist insbesondere bedenklich, weil 2019 noch von offizieller Seite versprochen wurde, die damals geplante Stadtpolizei werde nicht „mehr rechtliche Befugnisse“ bekommen. Bei aller Notwendigkeit im Zuge der Corona-Krise Maßnahmen zu ergreifen, stellt sich angesichts der geschilderten Ereignisse die Frage, in welchem Zusammenhang die hier getroffenen Maßnahmen mit dieser Krise stehen, wie lang die Maßnahmen andauern werden und welche Verschärfungen noch zu erwarten sind.

Das, was im Nordstadtpark passiert ist, lässt sich nur als Folge einer intransparenten und mindestens fragwürdigen Politik im Namen von ‚Sicherheit und Ordnung‘ bewerten, die bisher jede plausible Begründung vermissen lässt.

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