Jana aus Kassel erlangte jüngst fragwürdige Berühmtheit, nachdem ein Video auftauchte, in dem sie auf einer Querdenken Demo in postfaktischer Manier verlauten ließ, sie fühle sich wie Sophie Scholl. Und zwar, weil sie sich – wohl angesichts der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie – wie Scholl im Widerstand befände. Ein Ordner der Demo unterbrach sie vollkommen zu Recht und nannte diese Aussage treffend  ”eine Verharmlosung des Holocausts”. Jana ließ das Mikrofon fallen und brach in Tränen aus, kehrte später aber auf die Bühne zurück. Es gab viel Gegenwind: Ihr bereits vor Wochen eröffneter Telegramkanal wurde durch Störaktionen lahmgelegt, Tweets, die sich über sie lustig machten, Posts, die ihre Auslassungen als “ekelhaft” bezeichneten, ältere Videos von ihr, erneut veröffentlicht und ausgiebig kommentiert, sowie Zeitungsartikel, die den Vorfall thematisierten. Und der Spott ist berechtigt. Denn die Naivität, die Jana ausstrahlt, kann keine Entschuldigung für das Paktieren mit Verschwörungsideolog*innen und Rechtsradikalen sein, die sich auf den Demos tummeln und gewaltsam gegen Außenstehende und Gegendemonstrant*innen vorgehen, mitunter Polizist*innen angreifen, aber auch Journalist*innen mit tatkräftiger Unterstützung von Polizeibeamt*innen bedrängen.

 

Dennoch: So lächerlich und geschmacklos Janas Auftritt auch sein mag, drängt sich bei den inzwischen hunderten Tweets, Kommentaren und Artikeln, die sich auf sie beziehen, die Frage auf, was diese Form der spontanen Gruppenintervention in den sozialen Medien bezwecken soll? Soll darauf hingewiesen werden, dass die Argumente der Coronaleugner*innen und der Gegner*innen der Maßnahmen zur Eindämmung fast durchweg irrational und bisweilen geschichtsrevisionistisch sind? Dass es nicht wenige unter ihnen gibt, die strukturell antisemitischen Ideen anhängen, Verschwörungsideologien verbreiten und auch offen rechtsradikal sind? Wenn dem so ist, muss angemerkt werden, dass darüber ohnehin wenig Zweifel besteht: Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland hat wenig Verständnis für die Demonstrationen von Initiativen wie Querdenken und fast genauso viele Menschen sind zufrieden mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung. Die Wichtigkeit, sich den Teilnehmer*innen der Corona-Demos sowohl online als auch auf der Straße in den Weg zu stellen, schmälert das kein Stück. Und doch geschieht dies nicht selten allzu wohlfeil, wie etwa in diesem Tweet:

“Hoffentlich hat #Jana aus #Kassel noch einen Plan B für ihre berufliche Zukunft, denn spätestens ab heute wird es etwas schwerer. Aber du machst das schon, #sophiescholl hatte es auch nicht leicht, gell? Schäm Dich!”

Die Genugtuung, dass Jana sich öffentlich blamiert und sehr wahrscheinlich selbst in die Randständigkeit befördert hat, weiß sich auf der Seite der bestehenden Verhältnisse. Die fantasierte Strafe für Jana ist die Arbeitslosigkeit. Mit anderen Worten: Auf dem Arbeitsmarkt widerfährt den Menschen Gerechtigkeit – wer es dort nicht schafft, hat es eben zum Beispiel aufgrund von beschämendem Verhalten nicht verdient. Und so ist auch das Gelächter über Janas Statement, das durch die sozialen Medien hallt und das in jedem neuen ironischen Tweet über ihren Auftritt Futter findet, berechtigt und zugleich Ausdruck des Behagens in der Unkultur: Weil nichts anderes mehr denkbar ist als der Status quo – trotz der COVID-19-Pandemie muss weiter gewirtschaftet werden wie bisher –  braucht es Figuren wie Jana, um diesen Status als vernünftig zu rechtfertigen und damit erträglicher zu machen. Dabei ist es, nüchtern betrachtet, kaum weniger wahnsinnig, COVID-19 als gute Gelegenheit zur Entschleunigung abzufeiern oder mit Werbespots im Stile einer Geschichtsdoku die Idee zu verbreiten, es könne heldenhaft und zugleich gemütlich Widerstand geleistet werden, indem man zu Hause auf der Couch bliebe.

In diesen Erzählungen wird schlicht übergangen, dass Menschen nach wie vor ökonomischem Druck, Lohnarbeit und Ausbeutung ausgesetzt sind, obwohl kulturelles und öffentliches Leben auf Eis gelegt ist. Ebenso findet keine Erwähnung, dass es Menschen gibt, die entweder kein Zuhause haben oder dort häusliche Gewalt erleben. Auch taucht nicht auf, dass die staatlichen Maßnahmen beinhalten, Menschen mit COVID-19, gegen die Abschiebeverfahren laufen, in Absonderungshaft nehmen zu können, worin sie für jeden Beistand unerreichbar sind. Und zu guter Letzt sind große Unternehmen außer Acht gelassen, die nun im Zuge von COVID-19 den Trend zum Homeoffice und mobilen Arbeiten ausrufen, um auch nach der Pandemie mehr Flexibilität von ihren Angestellten fordern zu können.

Dass dies alles in der selbstgefälligen Rede vom ‘vernünftigen und verantwortungsbewussten Verhalten in der Krise’ allzu oft übergangen wird, ist offensichtlich kaum eines ironischen Witzes wert. Den aufgeklärten Menschen von der Mitte bis nach links, die vor kurzem gemeinsam mit Chauvinisten wie Oliver Pocher über die Anne-Frank-Vergleiche der Coronaleugner*innen schimpften und sich nun sicher sind, dass Jana aus Kassel eine Witzfigur ist, die zu Recht keine Arbeit mehr finden wird, bliebe das Gelächter im Halse stecken, würde ihnen klar, dass es auch in der Krise keine Alternative mehr zum Wahnsinn der sogenannten Normalität gibt. Das Fortbestehen dieser Normalität, das die ‚Querdenker‘ fälschlicherweise in Gefahr sehen, wird am Rande des Scheinwerferlichts gesichert, dadurch etwa, dass die Bundesagentur für Arbeit nach dem Ausbruch der Pandemie und dem darauffolgenden Ausfall der vielen unterbezahlten Erntehelfer*innen in Deutschland einen Aufruf unter dem Titel startete: “Saisonarbeit: Eine Krisen-Chance für Jobsuchende.”(15)

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