Die Polizei Essen hat eine interne Broschüre mit dem Titel Arabische Familienclans – Historie. Analyse. Ansätze zur Bekämpfung für die Öffentlichkeit freigegeben. Verfasst wurde diese von der Kriminologieprofessorin Dorothee Dienstbühl. Von ihr und zwei ihrer Kolleg*innen stammt u.a. auch ein September 2019 veröffentlichter Artikel zu diesem Thema in der Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei Die Kriminalpolizei, in dem sich auf das Dokument des LKA in NRW Lagebild zur Clankriminalität bezogen wird – selbiges ist, so haben wir bereits in unserem Blogartikel vom 27.03.2020 aufgezeigt, wissenschaftlich unhaltbar und zutiefst rassistisch. Und so ist auch die Broschüre Dienstbühls, die Handlungsempfehlungen für den polizeilichen Umgang mit den sogenannten Clans enthält, durchzogen von stereotypen Vorstellungen und Verallgemeinerungen. Selbige enden schließlich in überaus problematischen Überlegungen wie etwa der, im Umgang der Beamt*innen mit vermeintlichen Clanmitgliedern auf die Methode der Ehrverletzung, also aktiven Demütigung zurückzugreifen, insofern Ehre im islamischen/arabischen Weltbild das höchste Gut eines Mannes und seiner Familie darstelle.
Wesentlicher ist jedoch, dass die Broschüre schon in ihrem Ansatz unwissenschaftlich und rassistisch ist. Wie schon im besagten Artikel in Die Kriminalpolizei bereits zu Beginn festgestellt und im Anschluss dann offensichtlich bewusst ignoriert wird, fehlt jede klare Definition der Mhallamiye, bei denen es sich um den “kurdischen Volksstamm” handele, auf den die kriminellen Clans zurückgingen. Was wie ein Schauermärchen aus der Kolonialzeit klänge, würde nur der Stil ein wenig geändert – “Einst lebte irgendwo in der Südosttürkei das Volk der Mhallamiye … dann wanderten sie in den Libanon … heute treiben sie ihr Unwesen mitten unter uns” – , soll kriminologische Forschung und theoretische Grundlage für die Ausübung staatlicher Gewalt sein. Und so ist sich Dienstbühl in ihrer Broschüre nicht zu schade für diese einleitenden Sätze:
“Der umstrittene Clanbegriff umfasst in erster Linie arabisch-stämmige Familiengefüge, deren Mitglieder überproportional häufig in strafrechtlich relevante Erscheinung treten. Gleichzeitig sind anschließenden Betrachtungen zu Familienstrukturen und Wirkungsweisen übertragbar auf andere Clangefüge, insbesondere solche aus dem islamischen Kulturkreis. Im Nachfolgenden handelt es sich um eine notwendige Kollektivbetrachtung, die sich auf Mitglieder von Familienclans mit krimineller Neigung bezieht. Natürlich sind keineswegs alle Mitglieder, die einem Clan zuzuordnen sind, kriminell. Auf eine stetige Abgrenzung zwischen Clanmitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind, muss an dieser Stelle verzichtet werden. Zum einen, weil grundlegende Denkmuster häufig auch bei Familienmitgliedern verankert sind, die nicht kriminell auffällig sind und zum anderen weil auch bei Kenntnis über Kriminalität einzelner Familienmitglieder der Rest schweigt. Zusammenhalt, interne Kontrollmechanismen und Prinzipien, die hunderte Jahre alt sind, haben nicht nur dem Staat die Intervention erschwert, sie erschweren vielen Mitgliedern ein Leben außerhalb der tradierten Familienstrukturen. Es ist selbstverständlich, dass sich alle hier niedergelegten Betrachtungen und Maßnahmen auf kriminelle Clanmitglieder beziehen und keine Handreichung im Sinne von ethnic profiling darstellen.”
Eine Kollektivbetrachtung, die “arabisch-stämmig” und “islamischer Kulturkreis” ohne Weiteres analog behandelt wissen will, außerdem Kriminelle und nicht-Kriminelle bewusst nicht unterscheidet und überdies nicht-Kriminellen grundsätzlich eine Mitwisserschaft von Straftaten unterstellt qua Zugehörigkeit zu einem vermeintlichen Clan, der auf äußerst fragwürdige Weise definiert wird durch Herkunft und Religion, soll also keine Handreichung für ethnic profiling sein. Dass mit derlei gefährlichem Geschwätz in Deutschland eine Professur zu bestreiten ist, ist spätestens nach Ulrich Kutscheras menschenfeindlichen Auslassungen keine Überraschung mehr. Interessanter ist an dieser Stelle die Frage, wie viele Polizist*innen von den jüngst öffentlich gewordenen rechtsradikalen Umtrieben ihrer essener Kollegen*innen wussten und aufgrund von “Zusammenhalt, internen Kontrollmechanismen und Prinzipien” innerhalb der Polizei geschwiegen haben.